Der Kampf um Demokratie im Iran wird auch vehement und zur Zeit vor allem im Internet ausgetragen. Mit einem eigenen „reinen“ Internet soll nun dem Bloggerwesen der Kampf angesagt werden.
"Es war ein riesiger Schwindel!“ Diese Worte über die Wiederwahl von Mahmoud Ahmadinejad wurden Sayyed Mohammed Ali Abtahi zum Verhängnis. Bis zum 13. Juni 2009 hatte der ehemalige iranische Vizepräsident fast täglich auf Farsi und Englisch gebloggt und bei den Wahlen 2009 offen für den Ahmadinejad-Gegner Mehdi Karroubi mobil gemacht. Als „bloggender Mullah“ war der reformorientierte und weltoffene Geistliche gerade bei der Jugend beliebt. 30.000 Klicks und 100 Kommentare täglich machten sein Blog „Webnevesht“ zu einem der einflussreichsten im Iran. Der „riesige Schwindel“ war jedoch zu viel. Im Morgengrauen des 14. Juni 2009 standen Agenten der iranischen Geheimpolizei vor dem Haus seiner Familie in Teheran und nahmen den meist freundlich lächelnden Abtahi mit.
Mohammed Ali Abtahi ist einer der prominentesten Vertreter eines virtuellen Raumes, welcher sich innerhalb der iranischen Staatsgrenzen ausdehnt. „Weblogistan“ nennen ihn die IranerInnen. Nach „Weblogistan“ flüchten die Menschen, die im Ahmadinejad-Staat nicht mehr offen sprechen dürfen. „Weblogistan“ bietet eine Nische für Nachrichten aus dem Iran, die das herrschende Regime nicht sehen und hören will. Und „Weblogistan“ ist der einzige Ort, an dem Iranerinnen nicht den verschleierten Kopf senken müssen, wenn sie ein Mann ansieht. „Weblogistan“ – das sind die mehr als 700.000 Blogs, die sich mit dem Iran beschäftigen. Mittlerweile ist die Landessprache Farsi in Internet-Blogs auf den zweiten Platz weltweit vorgerückt – übertroffen nur von Englisch.
Bis zum eigenen Untergang bloggte Omid Reza Misajafi. Zu 30 Monaten Haft war der 25-Jährige verurteilt worden, da er mit einem satirischen Blogeintrag den „Obersten Führer“ des iranischen Wächterrats beleidigt haben soll. Im März 2009 wurde er tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden. Selbstmord hieß es lapidar von Seiten des Regimes. Zwecklos waren die Proteste seines Anwaltes und seiner Familie, man habe ihm die dringend notwendige Behandlung für eine Erkrankung verweigert, um ihn aus dem Weg zu räumen. Andere wichtige VertreterInnen von „Weblogistan“ werden auf Jahre in dunkle Verliese gesperrt. Die 26-jährige Shiva Nasar Ahari bezahlte ihren Online-Einsatz für Frauenrechte im Jänner 2011 mit einer Verurteilung zu vier Jahren Haft wegen „Gegnerschaft zu Gott“. Der Kanada-Iraner Hossein Derakshan alias „Hoder“, wegen seiner wichtigen Position in der iranischen Bloggerszene auch „The Blogfather“ genannt, wurde für seine Aktivitäten aus dem Ausland besonders drakonisch abgestraft. Bei einem Iran-Aufenthalt festgenommen, wurde „Hoder“ u.a. wegen „Blasphemie“ und Verschwörung gegen die Regierung im September 2010 zu 19 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
Die Mullahs haben Angst vor der Macht der Megabytes. Kürzlich erklärte das Ayatollah-Regime „Weblogistan“ unverhohlen den „sanften Krieg“. Mit diesem, so der Oberste Führer des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, solle die Online-Invasion westlicher Ideen und Kultur aufgehalten werden. Als schwerste Waffe in diesem Krieg ist dabei ein Projekt gedacht, das der stellvertretende iranische Wirtschaftsminister Ali Agha-Mohammadi erstmals im April 2011 der Öffentlichkeit vorstellte – das so genannte „Halal“-Internet. Das Wort „Halal“ bezeichnet alles, was im Islam erlaubt beziehungsweise „rein“ ist. Offiziell als Internet ohne unislamische Inhalte präsentiert, öffnet ein solches eigenes Netzwerk Tür und Tor für die Zensur. Es soll ein „Halal“-Mailprogramm geben und einen „Halal“-Server, der Google zumindest im Iran das Geschäft verderben soll.
Im Kampf gegen „Weblogistan“ setzt die iranische Regierung auch auf die mit den Revolutionsgarden verbundene „Iranian Cyber Army“. Sie hackt sich immer wieder in Blogs von Regimegegnern ein und bringt diese zum Absturz. Jetzt gab die Regierung bekannt, dass zusätzlich 8.000 Mitglieder der paramilitärischen Basij-Milizen mithelfen sollen, das „reine“ Internet im ganzen Land durchzusetzen.
Der „bloggende Mullah“ Mohammed Ali Abtahi musste seine Schuld „gestehen“. In einem Schauprozess gab er – in Sträflingskleidung, sichtlich abgemagert und mit auf den Boden gesenkten Blick – einsilbig zu Protokoll, „Unwahrheiten“ verbreitet und der Revolution geschadet zu haben. Daraufhin wurde Abtahi erst wegen „Anstachelung zum Regierungsumschwung“ zu sechs Jahren Haft verurteilt und dann Ende November 2009 gegen die Zahlung von 700.000 US-Dollar Kaution bis auf Widerruf freigelassen.
Nach seiner jederzeit rücknehmbaren Haftentlassung fing Abtahi vorsichtig an, wieder zu bloggen. Über „Facebook“ beschuldigte er die iranische Regierung, hinter einem Raubüberfall auf ihn im Mai 2010 zu stecken. Im Vergleich zu früher ist es jedoch ruhiger geworden um Sayyed Mohammed Ali Abtahi. „Es war ein großer Schwindel“ ist nach wie vor der letzte englischsprachige Eintrag des „bloggenden Mullah“.
Sebastian Grundberger studierte Politikwissenschaft und Geschichte Lateinamerikas in Deutschland und Chile.
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